Sonntag, 21. April 2013

Der Weg zur Diagnose F 84.5 - Asperger-Syndrom


Nach unserer gescheiterten Diagnostik in der KJP vor Ort rief ich, nachdem ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, die Amtsärztin vom Gesundheitsamt an, da diese bisher die einzige war, die an meinem Sohn Auffälligkeiten bemerkte und mich ernst nahm. Sie gab mir noch eine weitere Adresse einer hier vor Ort neu niedergelassenen Kinderärztin und eines Kinderpsychologen. Bei diesem Kinderpsychologen stand ich aber bereits seit längerer Zeit auf der Warteliste. Also hieß es erst einmal warten, bis ich einen Termin bekam.
In der Zwischenzeit fing ich an und durchsuchte das Internet. Ich gab alle möglichen Suchbegriffe ein, die mit den Auffälligkeiten meines Kindes etwas zu tun hatten. Immer kam ich wieder auf ein Ergebnis: AD(H)S. Ziemlich viele Punkte passten, aber überzeugt war ich dennoch nicht, denn ich kannte einige AD(H)S-ler und mit denen konnte ich meinen Sohn irgendwie nicht vergleichen.
Im Juni 2010 erhielt ich dann den erlösenden Anruf vom Kinderpsychologen. Endlich hatte ich einen Termin. Bei der neuen Kinderärztin hatte ich mir ebenfalls einen Termin geholt, da ich sowie wechseln wollte, da die anderen KiA mir eh nicht glaubten, obwohl sie eigentlich bei den Vorsorgeuntersuchungen schon Auffälligkeiten hätten sehen müssen. Mein Sohn verweigerte sämtliche Untersuchungen, wehrte sich mit Händen und Füßen, sobald ihn nur irgendjemand aus der Praxis näher kam. Warum also nicht noch einmal den Kinderarzt wechseln. Dann hatte ich wenigstens alle vor Ort durch. Ich bekam relativ schnell einen Termin bei der neuen Kinderärztin. Als ich dort mit meinem Sohn dann pünktlich eintraf, wehrte dieser sich schon wieder heftig beim Hinein gehen. Er hielt sich an den Türrahmen fest und versuchte immer wieder wegzulaufen. Als ich ihn endlich soweit hatte, dass wir an der Anmeldung standen, saßen dort drei Arzthelferinnen, zumindest glaubte ich dies in dem Moment (eine von denen war aber die neue Kinderärztin). Vollkommen durchgeschwitzt von dem Theater meines Sohnes meldete ich uns kurz an und ging dann mit einem an der Anmeldung auf allen Vieren krabbelnden Kind ins Wartezimmer. Kaum das wir uns gesetzt hatten, wurden wir auch schon  aufgerufen. Die Ärztin kam rein, stellte sich kurz vor und ich musste noch erst einmal schmunzeln, hielt ich sie eben doch noch für eine der Arzthelferinnen.
Ich schilderte ihr alles über meinen Sohn, seine Auffälligkeiten, meine Bedenken, auch die Sache mit der KJP. Während ich alles berichtete, hat sich mein Sohn unter meinen Stuhl versteckt und fuchtelte die ganze Zeit an meinen Schuhen herum. Ich schenkte ihm aber kaum Beachtung, da ich merkte, dass die Ärztin mir zuhörte (was ja in der Vergangenheit nicht allzu oft vorkam). Nachdem ich mit den gröbsten Berichten fertig war, sprach diese das erste Mal das Wort Autismus an. In meinem Kopf fing es an zu arbeiten, da ich über Autismus nicht besonders viel wusste. Ich kannte „RainMan“ und die Nachbarin meiner Arbeitskollegin hatte eine kleine Tochter mit frühkindlichen Autismus und diese schaukelte den ganzen Tag immer hin und her. Aber weder in RainMan noch in diesem kleinen Mädchen erkannte ich meinen Sohn. Ich lies sie also erst einmal erzählen und meine Gedanken gingen schon wieder ihre eigenen Wege, denn ich glaubte auch hier nicht an der richtigen Adresse zu sein. Als wir unser Gespräch fast beendet hatten, wies sie mich noch ganz unauffällig auf meine Schuhe hin. Ich schaute nach unten und musste ein wahres Kunstwerk an Knotentechnik entdecken. Während des Gespräches hat mein Sohn aus meinen Schnürbändern ein Knotenmuster erzeugt. Ihr Kommentar dazu: „Auch das ist typisch bei Autisten“. Sie gab mir noch eine Adresse eines guten Schulfreundes von ihr, der sich in einem anderen Bundesland in einer KJP niedergelassen hat und ein „Guru“ auf dem Gebiet „Autismus“ sein sollte. Wenn ich mich entschließen sollte, zwecks Diagnostik dort hinzufahren, dann sollte ich ihr Bescheid geben, damit sie ihren Kollegen schon einmal im Vorfeld informiert und wir nicht wieder so lange Wartezeiten in Kauf nehmen sollten. Aber dennoch riet sie mir noch, auf jeden Fall erst einmal das Gespräch vor Ort bei dem Kinderpsychologen in Angriff zu nehmen. Von diesem hat sie bisher auch nur gutes gehört.

Gesagt, getan. Ich erzählte erst einmal meinen Mann zu Hause von dieser Unterhaltung und meiner Meinung zu dieser Ärztin. Ich fand sie sehr nett und interessiert, auch musste ich ihr hoch anrechnen, dass sie meinen Sohn komplett ignoriert hatte, nicht dieses typische Anreden bzw. Zurechtweisen „Sag mal guten Tag“ oder „Wie heißt du denn?“, etc. Sie hat ihn die ganze Zeit beobachtet, aber in keinster Weise gedrängt, so das mein Sohn keine Angst haben musste und wir sicher eine Chance hatten, dort noch einmal hinzugehen, sollte er einmal krank werden.

Ich googelte mal wieder zum Thema Autismus und bin dabei auf das Asperger-Syndrom gestoßen. Puuh, ich glaubte, in allen Berichten meinen Sohn wieder zu erkennen. Unglaublich.

Sechs Wochen nach diesem Gespräch hatte ich nun, nach 16 Monaten Wartezeit, den Termin beim Kinderpsychologen. Mir war sehr mulmig zu Mute, hatte ich doch wieder dieses ungute Gefühl von dem Arzt aus der KJP in mir. Aber es gab schon einmal einen Vorteil. Dieser Kinderpsychologe bat um das Beratungsgespräch OHNE Kind, genau so, wie ich es schon in der KJP gerne gehabt hätte. Von daher hatte ich hier schon einmal einen Pluspunkt vergeben, bevor ich die Praxis betrat. Ich überlegte, ob ich ihm gleich von dem Verdacht der KiÄ und auch meinem erzählen sollte oder nicht. Ich entschied mich erst einmal dagegen. So schilderte ich noch einmal alles, was ich schon der KiÄ erzählte, der Kinderpsychologe nickte hin und wieder und als ich fertig war, meinte er nur, hört sich sehr nach Autismus an und erklärte mir gleich, das er nun erst einmal das Kind kennenlernen möchte und anschließend schauen, ob man in diese Richtung testen sollte. Eine Woche später erhielt ich einen neuen Termin mit Kind. Seltsamerweise bockte mein Sohn nicht, als wir die Praxis betraten. Er war nur sehr still und anhänglich. Als wir reingerufen wurden, musste ich meinen Sohn auf den Arm nehmen, er wirkte sehr ängstlich. Der Psychologe bat uns Platz zu nehmen und unterhielt sich mit mir über belangsloses Zeug, mein Sohn verkroch sich wieder unter dem Tisch. Dann holte der K.-Psych. ein Memory-Spiel hervor und fragte mich, ob wir es zusammen spielen wollen. Ich sagte „Ja“, da er mir im Vorfeld schon verriet, das er gerne einige Spiele mit mir machen wolle, die mein Sohn gerne spielt, ohne ihn selbst zu fragen, ob er auch mit spielen möchte. Er wollte ihn so aus der Reserve locken, was ihm auch nach gut 30 min. gelungen war. Mein Sohn kam unter dem Tisch hervor, schaute sich die Memory-Karten an, während wir spielten und ohne Aufforderung deckte er gleich einige Paare auf. Als die Stunde vorbei war und der Psych. meinen Sohn nur beobachtete, ohne ihn anzusprechen, gab er mir neue Termine zwecks Diagnostik mit und sehr viele Fragebögen.
Bei den ersten drei Diagnostikterminen musste ich immer mit rein und spielte anfangs einige Gesellschaftsspiele, mein Sohn sprang jedes mal drauf an und so kamen sich die beiden sehr schnell über die Spiele näher. Bereits beim vierten Termin konnte ich im Wartezimmer sitzen bleiben. Da wusste ich, hier bist du richtig, hier ist dein Sohn gut aufgehoben. Wir fühlten uns wohl und wussten, das wir hier richtig waren. Nach nur drei Monaten hatten wir die Diagnose schwarz auf weiß, die Auffälligkeiten unseres Sohnes hatten endlich einen Namen: F 84.5 – Asperger-Syndrom.
Unser Sohn erhielt Verhaltenstherapien und wir Eltern-Therapie, damit wir lernen konnten, besser auf unseren Sohn einzugehen und ihn verstehen. Während der Eltern-Therapiestunden wurde mir plötzlich immer bewusster, wie viel mir diese Therapiestunden selbst brachten und wie bewusst mir plötzlich einige Dinge an mir selbst auffielen. Zum ersten Mal kam auch bei mir der Verdacht, ob das vielleicht auch mein Anderssein erklären könnte. Aber diesen Gedanken schob ich irgendwie im Unterbewusstsein erst einmal beiseite, denn jetzt wollte ich so viel als möglich über Autismus wissen und fing an, mich im WWW durchzuforsten. Langweilig sollte mir ab dieser Zeit nie mehr werden J
Dank der Verhaltenstherapie unseres Sohnes und unserer Elterntherapie plus dem bis dato von mir zusammengelesenen, begann sich bei uns familiär wieder alles positiver zu entwickeln. Mit Ausnahme von sehr kleinen und wesentlich seltener Wutanfälle machten wir jeden Tag neue Fortschritte. Und diese Fortschritte machte nicht nur unser Sohn, nein, hauptsächlich wir als Eltern lernten jeden Tag neu dazu und konnten so besser auf unseren Sohn eingehen und ihn verstehen. Von nun an sollte es bergauf gehen.


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