Über mich

Meine Kindheit, eigentlich mein ganzes Leben, verlief irgendwie nur nach einem Schema: Ich musste funktionieren. Warum, das wusste ich nie. 
1966 bin ich als viertes Kind meiner Eltern zur Welt gekommen. Ich war nach drei Söhnen das langersehnte und gewünschte Mädchen, das sich mein Vater immer gewünscht hatte. Auffälligkeiten hatte ich wahrscheinlich als Kind viele, aber meinen Eltern ist das nicht wirklich aufgefallen, meine Art war für damalige Verhältnisse halt  typisch Mädchen: schüchtern, ruhig, sehr zurückhaltend, sehr pflegeleicht.  

Durch meinen jüngsten Sohn verstehe ich nun einiges, warum ich so bin wie ich bin und warum ich immer nur funktioniert habe und selten ich selbst war.
Mein Sohn erhielt im September 2010, nach einem sehr langen und holprigen Ärztemarathon, die Diagnose F 84.5 (Asperger-Syndrom). Für viele vielleicht ein Schlag ins Gesicht, für uns eine Befreiung. Die Auffälligkeiten meines Sohnes hatten endlich einen Namen. Er ist Autist. 
Von diesem Moment an habe ich mich mit dem Thema auseinander gesetzt und je mehr ich darüber gelesen habe, um so mehr erkannte auch ich mich darin wieder. Die Auffälligkeiten meines Sohnes sind total andere als meine es waren und dennoch sind wir uns so ähnlich, aber gerade das macht den Autismus aus. Aber darüber später noch einmal etwas ausführlicher. Auch auf meinen Sohn werde ich noch spezifischer eingehen. 

Welche Auffälligkeiten habe ich gezeigt als Kind?
Ich halte keinen Blickkontakt 
Mir persönlich ist das ja nie aufgefallen, ich wusste ja auch nicht, das man der Höflichkeit halber seinem Gesprächpartner anschaut. Meine Eltern hatten das bei mir nie bemängelt und woher sollte ich dies also wissen? Erst in der Schule, es war in der 4. Klasse, meine damals beste und wohl einzige wirkliche Freundin sprach mich plötzlich in der Pause an und sagte, sie empfindet es als äußerst unhöflich, wenn ich sie nicht anschaue, wenn wir miteinander reden. Also bemühte ich mich, sie anzuschauen. Schnell ist mir aber bewusst geworden, das ich dies gar nicht kann, also versuchte ich von diesem Moment an, alle meine Gesprächspartner auf die Nasenwurzel zu schauen. Seitdem hat mich nie wieder jemand darauf angesprochen. Es muss also funktionieren. Gedanken habe ich mir darüber nie gemacht, aber dieses Gespräch mit meiner Freundin sitzt heute noch in meinem Kopf fest.

Kaum soziale Kontakte
Auch dies ist mir nie wirklich aufgefallen. Ich hatte meine Brüder, die mich überall mit hingenommen haben und die Freunde meiner Brüder habe ich immer als meine Freunde mit angesehen.
Dann war da noch meine Cousine, sie ist nur ein Jahr jünger als ich, mit ihr verbrachte ich sehr viel Zeit, da unsere Mütter sich fast täglich getroffen haben. Auch meine Cousine hatte sehr viele Freundinnen und ich war halt immer mit dabei, wenn die Kinder gespielt haben. So dachte ich immer,    es wären auch meine Freunde. 
In der 2. Klasse kam ein Mädchen in unsere Klasse. Ich kannte sie bereits, da sie bei meiner Cousine in der Nachbarschaft wohnte. Dieses Mädchen wurde meine beste Freundin und ist es auch über viele Jahre geblieben. Das war meine einzige wirkliche Freundin die ich je hatte. Erst aufgrund der Auffälligkeiten meines jüngsten Sohnes haben wir uns immer mehr voneinander entfernt. 
Ich hatte dennoch soziale Kontakte, aber nie so eng, das ich sagen würde, ich hatte viele Freunde. Es waren immer die Geschwister, Schulkameraden, etc. die mich irgendwo mit hingeschleppt haben. Von allein hätte ich nie eine Freundschaft geknüpft oder gar gepflegt, es war mir nie wirklich wichtig. Auch das ist mir aber so nie aufgefallen. Erst jetzt im nachhinein kommen diese Gedanken wieder zum Vorschein. Dank der Diagnose meines Sohnes.

Rituale/Regeln
Ständig habe ich mich an die Regeln gehalten, die meine Eltern, Lehrer, etc. aufgestellt haben. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, diese zu brechen. Ich war immer zutiefst betroffen, wenn ich mit bekommen habe, das meine Brüder diese Regeln ständig missachtet haben. Auch brauchte ich immer feste Rituale als Kind (teilweise auch heute noch). Mein Ablauf vom Aufstehen bis abends zum Hinlegen musste von mir komplett durchdacht sein. Mein Tag musste geplant sein. Spontanität kannte ich nicht, habe damit heute noch große Probleme. Lief etwas nicht nach Plan, bekam ich leichte Panikattacken, fing an zu fiebern. Weiter wurde damals nicht darauf geachtet, das arme Kind wurde halt nur öfter krank, wenn etwas unvorhersehbares stattfand. Dies passierte mir auch häufig in der Schule, wenn Arbeiten geschrieben wurden, die vorher nicht angekündigt waren.

Es gibt noch vieles weitere, vielleicht werde ich später noch einmal darauf zurückkommen. Aber dies sind erst einmal einige Beispiele für mein Verhalten als Kind, welches mir heute immer öfter in Erinnerung kommen.

Bevor ich diesen Post nun abschließe, noch eine kurze Erklärung, warum ich noch keine Diagnostik angestrebt habe: Es ist mir nicht wichtig. Wichtig ist mir,  meinem Sohn zur Seite zu stehen, ihm viele Hürden zu erleichtern, die ich als Kind nehmen musste. Für ihn zu kämpfen. Kämpfen gegen Vorurteile.

7 Kommentare:

  1. Ach herjeh. Ich bin gerade ziemlich geschockt.

    Ich bin über eine Verlinkung auf Facebook hier gelandet und ich muss sagen, dass sich das liesst, als ob es meine Geschichte wäre.

    Geboren als 4. Kind 1965, ich hatte allerdings schon erhebliche Probleme, mein drittes Kind wurde 2009 als Asperger-Autist diagnostiziert, auch ging dann bei mir dann das Überlegen und die Déjà vus los.

    Ich durchlaufe gerade die 3. Diagnostik, diesmal am Uniklinikum um endlich eine verwertbare Diagnose zu haben (für mich, im Kopf), allerdings auch, um noch mehr, noch intensiver in den Kampf für mein Kind zu kämpfen. Denn meine Erfahrung zeigt mir, dass die Akzeptanz schon deutlich größer ist, wenn ich sage, dass ich selber im Spektrum bin. Die zwei vorher waren in ''normalen'' Praxen und mir wurde dort schon bestätigt, dass ich im Spektrum bin, aber man hat es nicht geschlüsselt, einmal, weil man mich nicht stigmatisieren wollte und das andere Mal, weil Empathie als Ausschlusskriterium gewertet wurde.

    Ich wünsche Dir weiterhin viel Kraft.

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  2. sehe gerade, dass Du mich in Deiner Link-Liste hast. Danke dafür!

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  3. Danke für deine Worte. Sie bestärken mich wieder ein wenig, hier weiter zu schreiben. Dein Blog war einer der wenigen, die ich bisher gelesen habe, der mich aber dazu ermutigt hat, ebenfalls mein Leben hier zu erzählen. Deine Erzählungen haben mich sehr bewegt und mit Mut gemacht. Vieles kam mir auch so bekannt vor. Ich hoffe, du bist nicht böse, das ich deinen Blog hier verlinkt habe, ohne dich vorher zu Fragen.

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  4. Deine Worte treffen das, was sich auch in mir bewegt! Auch ich entdecke mein eigenes Selbst, werde mir Vielem bewusst, was doch so lange schon da ist... Unser Sohn ist Autist, doch auch ihn konnten wir erst so "erkennen", seit er die Diagnose bekommen hatte... und da begann dann auch mein Weg...

    Danke, dass du uns teilhaben läßt! Du findest die Worte, die ich spüre... Mach weiter!!

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  5. Hi,
    ich habe vieles was du hier in deiner Einleitung schreibst, auch bei mir beobachtet. Auch ich konnte früher keinen Blickkontakt halten, habe dann dann irgendwann angefangen, den Leuten über das rechte Ohr zu schauen. Heute kann ich meinen Gesprächspartnern, in die Augen schauen, aber ich muß daran denken und es mir vornehmen und wenn ich angespannt und das Gespräch emotional wird, dann fällt es mir schwer. Genauso, Spontanität ist für mich etwas, das mir nicht liegt. Am liebsten mag ich Dinge, die ich immer auf ähnliche Art und Weise tun kann.
    Ich habe schon lange den Verdacht, daß ich eine ganz leicht Form von Autismus haben könnte, aber meine Psychotherapeutin darauf angesprochen meinte, daß ich kein Asperger hätte.
    Lange Rede, kurze Frage, was ist denn Deine Ansicht, was unterscheidet eine Person mit leichtem Autismus mit Introvertiertheit? Gibt es da Unterschiede oder sind das vielleicht zwei Seiten des gleichen Phänomens?
    Liebe Grüsse,
    Michaela

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  6. Hallo Michaela,
    ich habe deinen Kommentar gerade erst gelesen. War längere Zeit nicht mehr on.
    Zu deiner Frage: Autismus ist ja eine riesige Bandbreite und man ist ja nicht Autist,nur weil man keinen Smalltalk mag oder sich mehr mit seinem Inneren beschäftigt als andere. Dazu gehören ja wesentlich mehr Dinge.Gemeinsamkeiten findet man ja in vielen anderen Diagnosen auch wieder und dennoch hat man nicht gleich alle,auch nicht unbedingt als Begleiterscheinungen. Bei der Introversion gibt es schon gewisse Ähnlichkeiten,aber es kommt ja immer auf das Gesamtbild an und bei Autismus sind es halt viele Aspekte,die darunter fallen (können).

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