Besuch
mit Sitzfleisch
Ich
bekomme nicht besonders oft Besuch und meistens ist es so, das ich
mir diesen Besuch auch ganz genau „aussuche“, also selbst
entscheide, ob ich gerade auf Besuch eingestellt bin und um wem es
sich handelt. Meine wenigen Freunde, die ich im realen Leben habe,
wissen dies und melden sich vorher an.
Es
gibt Momente, da kann ich einfach nicht auf Besuch, da brauche ich
nur meine Ruhe bzw. meine Familie um mich herum und selbst die
Familie ist in manchen Momenten sogar zuviel.
Derzeit
ist meine kleine Familie sehr sehr klein geworden, da mein Mann auf
Reha ist, der Große seinen eigenen Haushalt hat und ich somit die
meiste Zeit nur mit meinem kleinen Sohn allein bin.
Ich
genieße diese Ruhe und auch das Allein sein, aber genauso sehr
vermisse ich meinen Mann und die Anwesenheit vom Großen, der zwar
zwischendurch (meist täglich) mal vorbeischaut, aber nie wirklich
lange bleibt.
Wenn
wir Besuch erhalten, dann kommen diese Menschen meistens zu meinem
Mann, da ich vor Ort nicht wirklich viele Freunde habe, die „mal
kurz“ vorbeischauen könnten. Nun ist es so, wenn dann mal Besuch
da ist, egal, ob es Freunde von mir sind oder von meinem Mann oder
sogar gemeinsame Freunde, so habe ich kein Sitzfleisch, um über eine
längere Zeit mit diesen Menschen zu kommunizieren, ohne das ich mir
zwischendurch meine Auszeit nehmen muss, sprich, ich ziehe mich
zurück, mal für einen kurzen Augenblick, mal für längere Zeit –
je nachdem, wie „anstrengend“ dieser Besuch für mich ist.
Ich
kann dies nicht genau in Zeiten angeben, aber im Durchschnitt sind es
2-3 Stunden, in denen ich durchaus ohne Probleme als Gastgeberin
mithalten kann, bevor ich eine Auszeit benötige.
Einige
bleiben erst gar nicht so lang, andere hingegen schon, aber das stört
auch nicht weiter, so lange ich nicht aus meinen Routinen gerissen
werde bzw. mir meine Auszeiten zwischendurch nehmen kann.
Gestern
hatte ich den Fall, das sich bei mir Besuch angekündigt hatte, die
mir bei Einrichtung meines neuen PCs behilflich sein wollten, da ich
mit diesem für mich neuen Betriebssystem überhaupt nicht zurecht
gekommen bin. Für dieses Hilfsangebot war ich sehr dankbar und ich
war nicht nur gut vorbeireitet auf diesen Besuch – nein – ich
habe mich sogar gefreut. Meine einzigen Bedenken waren halt, wie
reagiert mein Sohn auf diesen Besuch – a) er kannte die Frau, da
sie bereits schon einmal hier war und er sie kurz gesehen hat b) der
Mann war für ihn ein Fremder und somit würde er
höchstwahrscheinlich die ganze Zeit wieder nur in seinem Zimmer
bleiben. Mein Sohn und ich haben nicht viele Gemeinsamkeiten, aber
was Besuch angeht, da ist er noch ungeduldiger als ich (in Bezug auf:
Wann gehen die denn wieder?!)
„Zum
Glück“ hatten sich zwei Freunde bei ihm angemeldet, die mit ihm
bei uns spielen wollten, so war die „Ich bleibe in meinem Zimmer,
bis der Besuch wieder weg ist“-Phase schon einmal gerettet, denn
mit Freunden geht er auch im Garten spielen bzw. lässt sich in den
unteren Räumen blicken, auch wenn „fremder Besuch“ da ist und so
war es dann auch.
Mein
Besuch kam absolut pünktlich zur verabredeten Zeit, aber mein Sohn
hatte es verpasst, rechtzeitig in sein Zimmer zu verschwinden. So saß
er noch auf dem Sofa im Wohnzimmer, während der Besuch eintrat und
dort blieb er dann natürlich auch erst einmal „stocksteif“
sitzen.
Nun
musste er fast eine Stunde ausharren, bis seine Freunde vorbei kamen.
Womit ich und wohl mein Sohn auch nicht gerechnet hat, war die Art,
mit der dieser für ihn fremde männliche Besucher auftrat. Ich habe
nicht alles mitbekommen, da ich mich zeitgleich um den Kaffee in der
Küche gekümmert habe und alles auf die Terrasse gebracht habe.
Hörte immer nur einzelne Gesprächsstücke, bekam aber mit, das mein Sohn tatsächlich auf Fragen antwortete.
Dann
saßen wir erst einmal einige Zeit auf der Terrasse, tranken Kaffee
und erzählten. Irgendwann kümmerten wir bzw. mein Besuch sich dann
um meinen PC. Die Kinder, die zwischenzeitlich eingetroffen waren,
spielten abwechselnd im Garten bzw. im Haus. Alles war in bester
Ordnung.
Nach
vier Stunden mussten die Kinder wieder nach Hause, mein Besuch war
immer noch da.
Waren
wirklich schon 4 Stunden vergangen? Ich hatte noch keine Auszeit,
brauchte diese aber auch gar nicht.
Ich
war mit meiner Besucherin so intensiv im Gespräch, das ich überhaupt
nicht bemerkte, das ihr Mann und mein Sohn plötzlich verschwunden
waren. Ich schaute kurz rein und hörte Stimmen aus dem Kinderzimmer.
Mein erster Gedanke: Ich glaube, da haben sich zwei gesucht und
gefunden :-)
Nach
fast 8 ½ Stunden verabschiedete sich mein Besuch dann. Die Zeit
verging im Flug und ich fühlte mich wohl, die ganze Zeit, keine
Auszeit, keine Frage im Kopf: „Wann habe ich endlich Ruhe“.
Wobei
nun nicht das Gefühl aufkommen soll, das ich mich extrem Unwohl
fühle, wenn ich anderen Besuch hier habe. Auch dann gibt es dieses
Momente, ich denen ich gerne in Gesellschaft bin, aber niemals auf
diese lange Zeit gesehen. Hätte man mir irgendwann man gesagt, ich
würde ohne Unterbrechung 8 ½ Stunden mit Menschen verbringen, ohne
mir eine kurze Ruhezone zu suchen, ich hätte wohl den Vogel gezeigt.
Hier
waren Menschen mit „Sitzfleisch“ und es störte mich nicht, ganz
im Gegenteil, ich hätte noch länger sitzen bleiben können.
Kaum
war der Besuch weg fing mein Sohn an und suchte das Gespräch mit
mir. Aber anstatt mir mitzuteilen (wie es seine Art ist):
„Endlich!!!!! Endlich wieder Ruhe“ hörte ich ein „Der ist mir
total sympathisch und so cool“. Ich musste mir ein lautes Auflachen
verkneifen. Dann sprudelte erst einmal alles aus ihm raus: „Der hat
mir ganz tolle Sachen am PC erklärt und Tricks gezeigt und Tipps
gegeben und meinen PC will er mir auch noch mal so richtig auf mich
anpassen und und und..... Irgendwie ist der aber ganz schön
durchgeknallt, aber cool durchgeknallt – ist der auch Autist?“
Ich schaute meinen Sohn nur an und musste lachen und hatte gerade
ganz stark das Bedürfnis ihn einfach (ohne Vorankündigung) in den
Arm zu nehmen. Er ließ es anstandslos zu und drückte mich
ebenfalls. Dann antwortete ich ihm, während wir uns noch fest im Arm
hielten:
„Ja,
das sind beides Autisten, wie du und ich“ - Wir hatten noch eine
lange Nacht vor uns, fanden nicht in den Schlaf und so durfte ich mir
noch fast 3 Stunden, nachdem der Besuch weg war, anhören, was mein
Sohn mit seinem „neuen Freund“ alles gemacht hat und es tauchte
eine Frage auf, die bei meinem Sohn Seltenheitswert hat: „Wann
kommen die wieder vorbei?“
Diese
Frage konnte ich ihm nicht beantworten, aber ich hoffe, ganz ganz
bald.