Freitag, 27. Februar 2015

"Ich habe nur dieses eine Gesicht" - Gefühle zum Ausdruck bringen

Gefühle in Worte zu fassen, fällt mir schwer, eigentlich ist mir dies überhaupt nicht möglich. Wenn ich es mal schaffen sollte, die richtigen Worte zu finden, dann habe ich diese meist vorher irgendwo gelesen oder gehört und versuche dies an angebrachter Stelle weiterzugeben. Auch kleine Gesten, wie den Arm auf die Schulter oder auf den Kopf legen bzw. die Hand halten, wenn jemand traurig ist, ist mir schier unmöglich. Da ich dies nicht brauche, denke ich auch immer, es ist anderen gar nicht recht, wenn man sie in bestimmten Situationen berührt. Ich bin nicht Gefühlskalt, auch wenn das oftmals bei anderen so ankommt. Ich empfinde es nur anders und gebe es somit auch auf eine andere Art wieder.
Selbst in Momenten des glücklich seins laufe ich nicht strahlend durch die Welt. Mein Gesichtsausdruck ist meistens gleich bleibend, so dass ich oftmals schon in Momenten größter Freude einen Spruch wie „bist du sauer?“ oder „Hast du schlechte Laune?“ zu hören bekommen habe. Genau in diesen Momenten, wenn man mir diese Frage gestellt hat, wurde ich sauer und meine Laune verschlechterte sich. Meistens war meine Antwort kurz und knapp „Ich habe nur dieses eine Gesicht“. Heimlich habe ich früher vor dem Spiegel einen freundlichen Gesichtsausdruck versucht zu erlernen, aber ich konnte mich noch so bemühen, jedes Lächeln sah gequält aus und bereitete mir volle Konzentration, so dass ich für nichts anderes mehr einen klaren Gedanken hatte. Ich mag es auch nicht, wenn ich fotografiert werde, da man auf Fotos ja immer „lächelt“ und mir dieser Ausdruck einfach fehlt.
Das ich überhaupt eine Diagnose im Alter von 46 Jahren noch angestrebt habe, war auch aufgrund meiner nicht sichtbaren Freude. Mein ältester Sohn hatte gerade seine Prüfung zum stattlichen Techniker mit der Note zwei bestanden und als er freudestrahlend nach Hause kam, um mir das Ergebnis mitzuteilen, saß ich regungslos vor dem PC, schaute kurz hoch und sagte: „Herzlichen Glückwunsch“. Mein Sohn verließ das Zimmer und mir liefen plötzlich die Tränen. Ich war so stolz auf ihn, innerlich habe ich riesige Luftsprünge vor Freude gemacht, hätte ihn am liebsten ganz fest in den Arm genommen und gedrückt, aber äußerlich saß ich da, vollkommen regungslos, fast schon teilnahmslos. Ich habe sehr lange gebraucht, um ein Gespräch mit meinem Sohn zu suchen, um ihm meinen Verdacht auf Autismus zu erklären und ihm über meine äußerlich zum Ausdruck gebrachte Teilnahmslosigkeit zu erklären. Ich war dankbar für dieses Gespräch und die erste Äußerung, die mein Sohn zu mir sagte: „Da habe ich mir nie etwas bei gedacht, ich kenne dich ja nicht anders“. Dennoch war dies der Moment, der mich dazu bewegte, eine Diagnostik anzustreben.


Trauer ist auch etwas, das ich nicht zeigen kann. Ich merke und spüre, dass andere Menschen traurig sind, besonders nach dem Verlust eines geliebten Menschen oder auch Tieres. Mir fällt es aber schwer, ihnen Trost zu spenden oder die richtigen Worte zu finden.  Besonders schwer war es für mich, als meine Mutter starb und mein Vater einen Halt suchte. Diesen konnte ich ihm nicht wirklich bieten, ich habe mich mit dem ganzen Beerdigungszeremoniell beschäftigt. War bei ihm und hörte zu, wenn er reden wollte. Ich war aber nicht in der Lage, ihn zu umarmen und zu trösten. Auch mich hat der Verlust meiner Mutter bzw. meiner Eltern sehr getroffen und traurig gemacht, aber ich konnte nur für mich allein trauern. Tränen verlor ich nur, wenn ich allein war. So war es schon, als mein Bruder auf tragische Weise ums Leben kam. Ich ergriff überwiegend die Flucht, suchte ruhige verlassene Orte auf. Lief stundenlang allein durch die Gegend. Das war meine Art von Trauerbewältigung und in dieser Zeit musste ich auch viel weinen. Ich brauche einfach meine Rückzugsorte, um meine Gefühlswelt auszuleben.