Gefühle in Worte zu
fassen, fällt mir schwer, eigentlich ist mir dies überhaupt nicht möglich. Wenn
ich es mal schaffen sollte, die richtigen Worte zu finden, dann habe ich diese
meist vorher irgendwo gelesen oder gehört und versuche dies an angebrachter
Stelle weiterzugeben. Auch kleine Gesten, wie den Arm auf die Schulter oder auf
den Kopf legen bzw. die Hand halten, wenn jemand traurig ist, ist mir schier
unmöglich. Da ich dies nicht brauche, denke ich auch immer, es ist anderen gar nicht
recht, wenn man sie in bestimmten Situationen berührt. Ich bin nicht
Gefühlskalt, auch wenn das oftmals bei anderen so ankommt. Ich empfinde es nur
anders und gebe es somit auch auf eine andere Art wieder.
Selbst in Momenten
des glücklich seins laufe ich nicht strahlend durch die Welt. Mein
Gesichtsausdruck ist meistens gleich bleibend, so dass ich oftmals schon in
Momenten größter Freude einen Spruch wie „bist du sauer?“ oder „Hast du
schlechte Laune?“ zu hören bekommen habe. Genau in diesen Momenten, wenn man
mir diese Frage gestellt hat, wurde ich sauer und meine Laune verschlechterte
sich. Meistens war meine Antwort kurz und knapp „Ich habe nur dieses eine
Gesicht“. Heimlich habe ich früher vor dem Spiegel einen freundlichen
Gesichtsausdruck versucht zu erlernen, aber ich konnte mich noch so bemühen,
jedes Lächeln sah gequält aus und bereitete mir volle Konzentration, so dass
ich für nichts anderes mehr einen klaren Gedanken hatte. Ich mag es auch nicht,
wenn ich fotografiert werde, da man auf Fotos ja immer „lächelt“ und mir dieser
Ausdruck einfach fehlt.
Das ich überhaupt
eine Diagnose im Alter von 46 Jahren noch angestrebt habe, war auch aufgrund
meiner nicht sichtbaren Freude. Mein ältester Sohn hatte gerade seine Prüfung
zum stattlichen Techniker mit der Note zwei bestanden und als er
freudestrahlend nach Hause kam, um mir das Ergebnis mitzuteilen, saß ich
regungslos vor dem PC, schaute kurz hoch und sagte: „Herzlichen Glückwunsch“.
Mein Sohn verließ das Zimmer und mir liefen plötzlich die Tränen. Ich war so
stolz auf ihn, innerlich habe ich riesige Luftsprünge vor Freude gemacht, hätte
ihn am liebsten ganz fest in den Arm genommen und gedrückt, aber äußerlich saß
ich da, vollkommen regungslos, fast schon teilnahmslos. Ich habe sehr lange
gebraucht, um ein Gespräch mit meinem Sohn zu suchen, um ihm meinen Verdacht
auf Autismus zu erklären und ihm über meine äußerlich zum Ausdruck gebrachte
Teilnahmslosigkeit zu erklären. Ich war dankbar für dieses Gespräch und die
erste Äußerung, die mein Sohn zu mir sagte: „Da habe ich mir nie etwas bei
gedacht, ich kenne dich ja nicht anders“. Dennoch war dies der Moment, der mich
dazu bewegte, eine Diagnostik anzustreben.
Trauer ist auch
etwas, das ich nicht zeigen kann. Ich merke und spüre, dass andere Menschen traurig
sind, besonders nach dem Verlust eines geliebten Menschen oder auch Tieres. Mir
fällt es aber schwer, ihnen Trost zu spenden oder die richtigen Worte zu
finden. Besonders schwer war es für
mich, als meine Mutter starb und mein Vater einen Halt suchte. Diesen konnte
ich ihm nicht wirklich bieten, ich habe mich mit dem ganzen
Beerdigungszeremoniell beschäftigt. War bei ihm und hörte zu, wenn er reden
wollte. Ich war aber nicht in der Lage, ihn zu umarmen und zu trösten. Auch
mich hat der Verlust meiner Mutter bzw. meiner Eltern sehr getroffen und
traurig gemacht, aber ich konnte nur für mich allein trauern. Tränen verlor ich
nur, wenn ich allein war. So war es schon, als mein Bruder auf tragische Weise
ums Leben kam. Ich ergriff überwiegend die Flucht, suchte ruhige verlassene
Orte auf. Lief stundenlang allein durch die Gegend. Das war meine Art von
Trauerbewältigung und in dieser Zeit musste ich auch viel weinen. Ich brauche
einfach meine Rückzugsorte, um meine Gefühlswelt auszuleben.