Sonntag, 9. Juni 2013

Meine Hände suchen Beschäftigung

Ich habe letztens in einem Forum die Frage einer Mutter gelesen:
„Warum müssen Autisten immer Gegenstände in der Hand halten?“
Jetzt weiß ich nicht genau, ob das wirklich so ist, und ob dies überhaupt etwas mit Autismus zu tun hat, aber bei mir würde dies 1000% zutreffen.
Ich habe sehr lange über diese Frage nachgedacht und sie will einfach nicht mehr aus meinen Gedanken verschwinden. Es ist gerade wie ein Ohrwurm. Immer wieder stelle ich mir diese Frage.  Ich beobachte mich selbst und stelle fest: Ja, ich habe ständig etwas in den Händen. Meine Hände suchen immer nach Beschäftigung.
Es gibt keinen Moment, weder am Tage, noch in der Nacht, das ich keinen Gegenstand in der Hand halte. Es war mir aber auch nie wirklich bewusst, das es so ist bzw. es ist mir noch gar nicht aufgefallen, aber ohne geht gar nicht.
Bin ich zu Fuß unterwegs, so habe ich immer meinen Schlüsselbund in der Hand bzw. habe meine Hand in der Jackentasche und spiele dann mit diesem Schlüsselbund, im Herbst ist es eine Kastanie, die mich in meiner Jackentasche begleitet und mit der ich dann herumspiele. Das habe ich schon immer gemacht und es gibt mir Sicherheit. Ich fühle mich wesentlich sicherer, wenn ich etwas in der Hand halte. Auch beim Telefonieren ist es so. Da ist ein Kugelschreiber mein ständiger Begleiter. Ich muss mir nicht unbedingt etwas während des Telefonates notieren, aber ich halte ihn einfach fest. Obwohl ich ja schon den Hörer in der einen Hand halte, benötigt meine andere Hand dann noch einen Gegenstand, der mir Sicherheit bietet. Wenn ich länger darüber nachdenke, so ist jeder Moment, in dem ich nicht irgendeiner Tätigkeit nachgehe, in der ich eh schon etwas in der Hand halte, wirklich immer irgendetwas, mit dem meine Hände beschäftigt sein müssen. Selbst in der Nacht….da liegt von meinem Sohn immer ein kleiner Teddy in meinem Bett. Er gab ihn mir einmal und sagte, dieser solle mich nachts vor schlimmen Träumen beschützen. Also halte ich diesen kleinen Teddy nachts in meiner Hand. Bisher habe ich es mir immer so erklärt, dass ich mit diesem Teddy einschlafe, da mein Sohn ihn mir ja dort hingelegt hat und dieser mich beschützen soll. Aber ist es nicht eher so, das mein Unterbewusstsein in diesen Momenten, in denen ich im Bett liege mir sagt, du benötigst Sicherheit. Also halte ich den kleinen Teddy fest in meiner Hand. Ich wache morgens auch immer so wieder auf. Normal hätte dieser Teddy ja im Bett liegen können und ich müsste ihm keine Beachtung schenken, aber dem ist ja nicht so.
Egal, wie lange ich jetzt darüber nachdenke und welche Situationen ich mir aus der Vergangenheit noch einmal vorstelle. Ich sehe mich nie mit leeren Händen. Sitze ich am PC, so halte ich die ganze Zeit die Maus fest, wenn ich nicht gerade etwas schreibe. Morgens laufe ich mit einer Tasse Kaffee durch die Gegend, wenn ich nicht gerade den Haushalt mache und in dem Moment sind die Hände ja beschäftigt.
Beim ersten Elternabend meines ältesten Sohnes brachte die Klassenlehrerin einen kleinen Stein mit. Diesen gab sie beim Elternabend herum und jeder, der etwas sagte, hielt in dieser Zeit den Stein und drehte ihn. Dafür war ich damals sehr dankbar. Nicht, weil meine Hände Beschäftigung suchten (dafür habe ich ja einen Stift beim Elternabend mit zum Notieren und diesen halte ich dann die ganze Zeit fest), sondern weil er mir beim Sprechen geholfen hat. Es fällt mir schwer vor vielen Menschen zu reden und ganz besonders vor vielen fremden Menschen. Dieser Stein gab mir in diesem Moment die Sicherheit.
Vielleicht bin ich schon sehr früh zum Raucher geworden, damit meine Hände etwas halten können. Denn es gab Zeiten, da wollte ich unbedingt mit dem Rauchen aufhören. In den Schwangerschaften war das für mich überhaupt kein Problem, aber während der grundlosen „Abgewöhnungszeit“ hatte ich da schon wesentlich mehr Schwierigkeiten. Oftmals erwischte ich mich mit einer Salzstange in der Hand, die mir wohl als „Ersatzzigarette“ diente. Man sagt ja, der Kopf muss frei und willig sein, damit man wirklich aufhören kann mit Rauchen. Bei mir ist es nicht ganz so, denn mein Kopf war frei und willig, aber nicht meine Hände. Ihnen fehlte diese routinierte immer wiederkehrende Beschäftigung. Also fing ich nach kurzen Abgewöhnungszeiten wieder mit dem Rauchen an. Bin ich gut beschäftigt, muss ich auch nicht Rauchen. Aber in Ruhephasen und Stresssituationen könnte ich eine nach der anderen rauchen. Aber das ist ja nun wieder ein anderes Thema, hier geht es ja um meine Hände. Hände, die einfach nicht zur Ruhe kommen wollen.
In besonderen Stresssituation beruhigt es mich einfach, wenn sich meine Hände beschäftigen können und dies geht meistens natürlich nur, wenn ich einen Gegenstand in der Hand halte. Schließlich kann man bei Veranstaltungen ja nicht ständig rumwuseln, damit man selber ruhiger wird. Da reicht mir schon der kleinste Gegenstand, der mir die Sicherheit bietet, die ich in diesem besonderen Moment brauche.
Abends vorm Fernseher ist es meistens die Fernbedienung, die ich dann festhalte. Aber wenn ich mit meinem Sohn gemeinsam fernsehe, dann muss ich ihm die Fernbedienung überlassen. Ich schnappe mir derweil das kleine Sofakissen, welches ich dann an meinen Körper drücke und festhalte. Wahrscheinlich geht es meinem Sohn mit den Händen genauso, aber das habe ich noch nicht so beobachtet. Bei meinem kleinen Autisten ist es leider eher so, das er an seinen Fingernägeln pult. Nachts im Bett macht er es mit den Füßen, da hat er sich auch schon zweimal den kompletten Zehnagel abgepult.

Momente, in denen keine Gegenstände greifbar sind, die gibt es auch. Dann spiele ich oftmals an meinen Ohrringen oder drehe meinen Ring, ziehe ihn ab und setze ihn wieder auf. Oder das Feuerzeug in meiner Tasche. Eigentlich findet sich immer etwas, meinen Händen wird wohl die langweilig, sie suchen einfach eine Beschäftigung und geben mir Sicherheit.


3 Kommentare:

  1. Du schreibst mir aus der Seele :)
    Ich kenne das nur zu gut und werde auch oft darauf angesprochen, warum ich immer irgendwas in meinen Händen halten muss, bzw. daran "rummfummel" ;)
    Ich schleppe sobald ich das Haus verlasse eine Wasserflasche mit mir herum und sobald ich mich in einer Kontaktsituation befinde, fange ich an die Etiketten abzufummeln und zu falten... mir gibt das Sicherheit, es ist als müsste ich mich permanent festhalten!
    Schöner Blog übrigens !

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  2. Das gleiche Problem habe ich auch. Vor allen Dingen im Unterricht merke ich es. Dort mache ich Beispielsweise mit Tesafilm die Farbe vom Tintenkiller ab oder zerlege ihn gleich ganz. Wenn ich mal nichts in die Finger bekomme, was ich zerreißen, zerschneiden oder falten könnte kommt das, eher bei Jungen bekannte Zockerbein(linkes, rechtes oder beide Beine wippen schnell) oder kratze meine Pickel auf, wodurch Bein Gesicht recht vernarbt ist.

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  3. Das gleiche Problem habe ich auch. Vor allen Dingen im Unterricht merke ich es. Dort mache ich Beispielsweise mit Tesafilm die Farbe vom Tintenkiller ab oder zerlege ihn gleich ganz. Wenn ich mal nichts in die Finger bekomme, was ich zerreißen, zerschneiden oder falten könnte kommt das, eher bei Jungen bekannte Zockerbein(linkes, rechtes oder beide Beine wippen schnell) oder kratze meine Pickel auf, wodurch Bein Gesicht recht vernarbt ist.

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