Montag, 24. Juni 2013

Unbewusste Hilfestellungen

Wenn man sich heutzutage darüber unterhält, ob man noch eine Diagnostik anstreben sollte, dann hört man oftmals die Kommentare: „Wozu denn, bist doch bisher gut durchs Leben gekommen“ oder „Immer diese Trittbrettfahrer“ oder „Wieder so eine Modediagnose?“ oder “Diese Macken sind  doch wahrscheinlich nur durch dein Kind auf dich abgefärbt“. Zum Glück musste ich mir dies noch nicht anhören, aber ich habe es schon von anderen in einigen Foren und Gruppen gelesen, denen es ähnlich geht wie mir.
Aus der Sicht anderer mag das vielleicht hinkommen, dass man bisher gut durchs Leben gekommen ist. Aber weiß auch nur einer, wie man durchs Leben gekommen ist. Wie schwer einem vieles gefallen ist, wenn man selbst nie wusste, warum es so war? Gerade weil man ein autistisches Kind hat, sieht man sich teilweise darin wieder. Es kommen Erinnerungen von früher zum Vorschein, man macht sich Gedanken und findet wieder ein Puzzleteil, welches an die richtige Stelle gelegt werden könnte.
Nach der Diagnose hat mein Sohn Verhaltenstherapien erhalten und wir haben in den Eltern-Therapiestunden vieles erfahren dürfen. Einige Kinder erhalten heute aufgrund ihrer Diagnose eine Schulbegleitung, damit sie im Schulalltag etwas besser zurecht kommen, die Eltern kämpfen und machen sich stark für ihre Kinder und versuchen damit, ihren Kindern das Leben etwas zu erleichtern und lernen selbst daraus. Sie gehen in Selbsthilfegruppen und speziellen Autisten-Foren zwecks Erfahrungsaustausch. All das gab es früher nicht. Man musste also irgendwie zurecht kommen und funktionieren. Eine Diagnose hätte wohl früher auch nicht den gleichen Effekt gehabt, wie es heute bei unseren Kindern ist. Die Zeiten ändern sich und von daher ist eine Diagnose heute keine „Modeerscheinung“ oder man ist kein „Trittbrettfahrer“, nur weil man mit dem Wissen von Heute  anders und besser damit umgehen kann.
Ich hatte die meiste Zeit in meinem Leben immer jemanden an meiner Seite, der mir bei meinen „Schwierigkeiten“ unbewusst geholfen hat. Anfangs waren es meine Brüder, durch die ich immer beschützt wurde oder meine Cousine, die mir in der Schule zur Seite stand. Auch meine beste Freundin aus Schulzeiten. Sie saß im Unterricht nehmen mir und bot mir Sicherheit, im Unterricht und in den Pausen. Sie begleitete mich durch meine gesamte Schulzeit und auch hinterher noch eine lange Zeit. Wir wurden auch zur gleichen Zeit schwanger und so hatte ich sogar in der Klinik eine vertraute Zimmernachbarin, die mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Auch meine Mutter spielte eine wichtige Rolle in meinem Leben. Sie nahm mir Arbeiten ab, die mich teilweise überforderten. War mein Kind krank und musste zum Arzt, so war sie immer dabei. Auch Veranstaltungen im Kindergarten oder in der Schule, sie begleitete mich in dieser für mich schweren Zeit. Spielplätze mochte ich überhaupt nicht, also ging sie mit meinem Kind dort hin und beide hatten ihren Spaß und ich konnte mich in dieser Zeit etwas zurückziehen. Auch bei den Einkäufen begleitete sie mich, sie war einfach immer da, wenn ich sie brauchte, ohne das wir auch nur einmal über meine Schwierigkeiten gesprochen haben. Vielleicht spürte sie oftmals meine Hilflosigkeit, aber sie sagte nie etwas. All dies geschah, ohne dass wir wussten, warum ich Schwierigkeiten in gewissen Lebenslagen hatten. Für meine Brüder, Cousine, beste Freundin oder meine Mutter waren diese Momente selbstverständlich oder „normal“ und ich hatte immer einen vertrauten Menschen an meiner Seite, der mir Sicherheit bot und mich unterstützte. Das habe ich früher aber nie so gesehen, aber ohne diese in meinem Leben wichtigen Menschen hätte ich es wohl nie geschafft.
Von all diesen mir wichtigen Menschen habe ich heute nur noch zu meiner Cousine Kontakt und sie weiß inzwischen auch über mein „anders sein“ Bescheid und unterstützt mich heute bewusst in vielen Lebenslagen. Gibt es wieder mal ein für mich schwieriges unüberwindbares Ereignis, so ist sie für mich da. Manchmal reicht es einfach aus, dass sie mir diesen gewissen Halt und die Sicherheit bietet. Wir sehen uns nicht mehr so oft, schließlich hat jeder seine eigene Familie. Aber sie ruft mich regelmäßig an, kommt mal kurz vorbei und fragt nach, wie es mir geht oder ob sie etwas erledigen kann. Ich melde mich nur bei ihr, wenn ich Hilfe benötige oder mal wieder einen Ratschlag brauche. Aber sie ist mir deswegen nicht böse, da sie ja nun weiß, warum ich mich nicht so oft bei ihr melde.
Im Alltag komme ich inzwischen gut zurecht, wird es mal schwieriger, so sind mein Mann und meine Cousine immer für mich da. Dieser Gedanke beruhigend ungemein und stärkt mich immer wieder. Auch habe ich zwischenzeitlich wieder eine gute Freundin vor Ort gefunden, dank einer Selbsthilfegruppe. Mit ihr kann ich inzwischen über alles Reden und auch sie übernimmt inzwischen Dinge für mich, die ich allein nicht schaffen würde. Freunde habe ich heute wesentlich mehr als früher. Aber die meisten meiner engen Freunde wohnen nicht vor Ort, so dass der meiste Kontakt nur telefonisch oder über Email stattfindet. Dennoch sind dies die wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden, neben meiner Familie. Dafür an dieser Stelle auch noch einmal ein ganz dickes Dankeschön. Ohne Euch würde mir etwas ganz besonderes in meinem Leben fehlen.


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