Donnerstag, 23. Juli 2015

Besuch mit "Sitzfleisch"

Besuch mit Sitzfleisch

Ich bekomme nicht besonders oft Besuch und meistens ist es so, das ich mir diesen Besuch auch ganz genau „aussuche“, also selbst entscheide, ob ich gerade auf Besuch eingestellt bin und um wem es sich handelt. Meine wenigen Freunde, die ich im realen Leben habe, wissen dies und melden sich vorher an.
Es gibt Momente, da kann ich einfach nicht auf Besuch, da brauche ich nur meine Ruhe bzw. meine Familie um mich herum und selbst die Familie ist in manchen Momenten sogar zuviel.
Derzeit ist meine kleine Familie sehr sehr klein geworden, da mein Mann auf Reha ist, der Große seinen eigenen Haushalt hat und ich somit die meiste Zeit nur mit meinem kleinen Sohn allein bin.
Ich genieße diese Ruhe und auch das Allein sein, aber genauso sehr vermisse ich meinen Mann und die Anwesenheit vom Großen, der zwar zwischendurch (meist täglich) mal vorbeischaut, aber nie wirklich lange bleibt.
Wenn wir Besuch erhalten, dann kommen diese Menschen meistens zu meinem Mann, da ich vor Ort nicht wirklich viele Freunde habe, die „mal kurz“ vorbeischauen könnten. Nun ist es so, wenn dann mal Besuch da ist, egal, ob es Freunde von mir sind oder von meinem Mann oder sogar gemeinsame Freunde, so habe ich kein Sitzfleisch, um über eine längere Zeit mit diesen Menschen zu kommunizieren, ohne das ich mir zwischendurch meine Auszeit nehmen muss, sprich, ich ziehe mich zurück, mal für einen kurzen Augenblick, mal für längere Zeit – je nachdem, wie „anstrengend“ dieser Besuch für mich ist.
Ich kann dies nicht genau in Zeiten angeben, aber im Durchschnitt sind es 2-3 Stunden, in denen ich durchaus ohne Probleme als Gastgeberin mithalten kann, bevor ich eine Auszeit benötige.
Einige bleiben erst gar nicht so lang, andere hingegen schon, aber das stört auch nicht weiter, so lange ich nicht aus meinen Routinen gerissen werde bzw. mir meine Auszeiten zwischendurch nehmen kann.

Gestern hatte ich den Fall, das sich bei mir Besuch angekündigt hatte, die mir bei Einrichtung meines neuen PCs behilflich sein wollten, da ich mit diesem für mich neuen Betriebssystem überhaupt nicht zurecht gekommen bin. Für dieses Hilfsangebot war ich sehr dankbar und ich war nicht nur gut vorbeireitet auf diesen Besuch – nein – ich habe mich sogar gefreut. Meine einzigen Bedenken waren halt, wie reagiert mein Sohn auf diesen Besuch – a) er kannte die Frau, da sie bereits schon einmal hier war und er sie kurz gesehen hat b) der Mann war für ihn ein Fremder und somit würde er höchstwahrscheinlich die ganze Zeit wieder nur in seinem Zimmer bleiben. Mein Sohn und ich haben nicht viele Gemeinsamkeiten, aber was Besuch angeht, da ist er noch ungeduldiger als ich (in Bezug auf: Wann gehen die denn wieder?!)
„Zum Glück“ hatten sich zwei Freunde bei ihm angemeldet, die mit ihm bei uns spielen wollten, so war die „Ich bleibe in meinem Zimmer, bis der Besuch wieder weg ist“-Phase schon einmal gerettet, denn mit Freunden geht er auch im Garten spielen bzw. lässt sich in den unteren Räumen blicken, auch wenn „fremder Besuch“ da ist und so war es dann auch.

Mein Besuch kam absolut pünktlich zur verabredeten Zeit, aber mein Sohn hatte es verpasst, rechtzeitig in sein Zimmer zu verschwinden. So saß er noch auf dem Sofa im Wohnzimmer, während der Besuch eintrat und dort blieb er dann natürlich auch erst einmal „stocksteif“ sitzen.
Nun musste er fast eine Stunde ausharren, bis seine Freunde vorbei kamen. Womit ich und wohl mein Sohn auch nicht gerechnet hat, war die Art, mit der dieser für ihn fremde männliche Besucher auftrat. Ich habe nicht alles mitbekommen, da ich mich zeitgleich um den Kaffee in der Küche gekümmert habe und alles auf die Terrasse gebracht habe. Hörte immer nur einzelne Gesprächsstücke, bekam aber mit, das mein Sohn tatsächlich auf Fragen antwortete.
Dann saßen wir erst einmal einige Zeit auf der Terrasse, tranken Kaffee und erzählten. Irgendwann kümmerten wir bzw. mein Besuch sich dann um meinen PC. Die Kinder, die zwischenzeitlich eingetroffen waren, spielten abwechselnd im Garten bzw. im Haus. Alles war in bester Ordnung.
Nach vier Stunden mussten die Kinder wieder nach Hause, mein Besuch war immer noch da.
Waren wirklich schon 4 Stunden vergangen? Ich hatte noch keine Auszeit, brauchte diese aber auch gar nicht.
Ich war mit meiner Besucherin so intensiv im Gespräch, das ich überhaupt nicht bemerkte, das ihr Mann und mein Sohn plötzlich verschwunden waren. Ich schaute kurz rein und hörte Stimmen aus dem Kinderzimmer. Mein erster Gedanke: Ich glaube, da haben sich zwei gesucht und gefunden :-)
Nach fast 8 ½ Stunden verabschiedete sich mein Besuch dann. Die Zeit verging im Flug und ich fühlte mich wohl, die ganze Zeit, keine Auszeit, keine Frage im Kopf: „Wann habe ich endlich Ruhe“.
Wobei nun nicht das Gefühl aufkommen soll, das ich mich extrem Unwohl fühle, wenn ich anderen Besuch hier habe. Auch dann gibt es dieses Momente, ich denen ich gerne in Gesellschaft bin, aber niemals auf diese lange Zeit gesehen. Hätte man mir irgendwann man gesagt, ich würde ohne Unterbrechung 8 ½ Stunden mit Menschen verbringen, ohne mir eine kurze Ruhezone zu suchen, ich hätte wohl den Vogel gezeigt.
Hier waren Menschen mit „Sitzfleisch“ und es störte mich nicht, ganz im Gegenteil, ich hätte noch länger sitzen bleiben können.

Kaum war der Besuch weg fing mein Sohn an und suchte das Gespräch mit mir. Aber anstatt mir mitzuteilen (wie es seine Art ist): „Endlich!!!!! Endlich wieder Ruhe“ hörte ich ein „Der ist mir total sympathisch und so cool“. Ich musste mir ein lautes Auflachen verkneifen. Dann sprudelte erst einmal alles aus ihm raus: „Der hat mir ganz tolle Sachen am PC erklärt und Tricks gezeigt und Tipps gegeben und meinen PC will er mir auch noch mal so richtig auf mich anpassen und und und..... Irgendwie ist der aber ganz schön durchgeknallt, aber cool durchgeknallt – ist der auch Autist?“ Ich schaute meinen Sohn nur an und musste lachen und hatte gerade ganz stark das Bedürfnis ihn einfach (ohne Vorankündigung) in den Arm zu nehmen. Er ließ es anstandslos zu und drückte mich ebenfalls. Dann antwortete ich ihm, während wir uns noch fest im Arm hielten:
„Ja, das sind beides Autisten, wie du und ich“ - Wir hatten noch eine lange Nacht vor uns, fanden nicht in den Schlaf und so durfte ich mir noch fast 3 Stunden, nachdem der Besuch weg war, anhören, was mein Sohn mit seinem „neuen Freund“ alles gemacht hat und es tauchte eine Frage auf, die bei meinem Sohn Seltenheitswert hat: „Wann kommen die wieder vorbei?“

Diese Frage konnte ich ihm nicht beantworten, aber ich hoffe, ganz ganz bald.


4 Kommentare:

  1. wow perfekt und geteilt, es ist so wichtig das kleine autisten große (erwachsene) autisten kennenlernen, und sich so vernetzen

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  2. wir brauchen elders, ältere autisten die jungen autisten beistehen, die (irgendwie, wie auch immer, ich hab mich in den pausen in der schul-bibiothek verkrochen, ab dem 7. schuljahr) denen zeigen, wie man schule überlebt und die auffangen und trösten, wenn mitschüler und lehrer mobben

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  3. und es ist wichtig, das kleine autisten erwachsene autisten kennenlernen, ich habe vor ein paar monaten ein experiment gewagt, das war ein treffen von erwachsenen autisten in essen, ich habe eine mir sehr liebe NT mama mitsamt ihrem 8 jährigen sohn dort mit hin genommen, damit der kleene mal sieht, das es auch andere wie ihn gibt, er hat die ganze zeit, still (ganz fein lächelnd) mit seinem tablett am tisch gesessen, aber er hat sehr genau zugehört, und nach ein paar wochen, nach dem treffen, kamen die ersten kommentare von ihm, das er begriffen hat, nicht alleine zu sein

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  4. ihr autistischer sohn hat in den monaten dannach, sozusagen life miterlebt, das auch die erwachsene melli (adhs-autistische züge) nicht immer alles, ohne hilfe und/oder NT erklärungen hinbekommt, und das es vollkommen okay ist, zu sagen, wenn man hilfe braucht

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